September 4, 2008

Felix Benz am Ultra-Trail um den Mont-Blanc: Ziel erreicht!

Nach 36 Stunden waren die 166 Kilometer und 9’400 Meter Höhendifferenz geschafft, das Mont-Blanc-Massiv umrundet. Start und Ziel ist in Chamonix, gelaufen wird in den drei Ländern Frankreich, Italien und Schweiz.

von Felix Benz

Gerne berichte ich (Felix Benz) euch nachstehend über meine Erlebnisse bei einer unvergleichbaren sportlichen Herausforderung, welche ich mich vom 27. bis 30. August 2008 gestellt habe und diese auch überstanden habe – Es war eine Expedition in ein einmaliges Paradies für Ultra-Marathon-Bergläufer. Es brachte mich in den Bereich von Grenzen von meinem Körper und Geist, wie ich es bisher noch nie erfahren habe oder erleben durfte.

166 Kilometer, 9’400 Höhenmeter
Die Strecke um das Mont Blanc-Massiv ist ein ständiges auf und ab, der tiefste Punkt ist in Saint Gervais auf 807 Meter über Meer, auf dem Col Ferret mit 2’537 Meter über Meer wird die höchste Stelle des Parcours erreicht. Der Lauf wurde in diesem Jahr zum sechsten Mal durchgeführt. Für den Lauf zugelassen werden maximal 2’500 Sportler. Er setzt beinahe übermenschliche Anforderungen an Körper und Psyche des Teilnehmers, trotzdem müssen jedes Jahr viele Interessenten abgewiesen werden. Für diesen Ultra-Marathon konnte ich mich dank meinen bisherigen Leistungsausweisen, unter anderem aufgrund meiner mehrmaligen Teilnahmen am Swiss-Alpine Marathon in Davos und am Swiss-Jura-Marathon im vergangenen Jahr qualifizieren. Als die Veranstalter meinen Leistungsausweis überprüft hatten und mit die Starterlaubnis erteilt hatte, war natürlich die Freude gross. Ich gehörte zu den 2’500 „Glücklichen“ und durfte nach Chamonix reisen. Jeder Teilnehmer hatte einen ärztlichen Gesundheits-Attest zu erbringen und eine Notausrüstung im Rucksack mitzutragen, welche vor dem Start genau kontrolliert wurde. Auch wer 100 % fit ist und alle geltenden Voraussetzungen erfüllt, ist keinesfalls sicher, dass er auch das Ziel erreicht. Denn es kann so viel passieren, auf diesen schier unendlichen 166 Km in der einmaligen Gebirgslandschaft um den Mont Blanc.

Ziel: Durchkommen
Die Zahl der Läufer, welche das Rennen vorzeitig abbrechen müssen, ist jedes Jahr sehr gross, kaum mehr als 50 % erreichen jeweils das Ziel. Als erfolgreicher Finisher in Chamonix innert der gesetzten Frist von 46 Stunden einlaufen, das war mein erklärtes Ziel. Das ich dieses erreichen werde, war ich mir ziemlich sicher. Die sehr guten Wetterbdingungen gaben mir das erforderliche Selbstvertrauen. Doch was zwischen Start und Ziel alles passieren wird, welche Erlebnisse und Überraschungen ich durchmachen werden, das war völlig ungewiss. Diese „Unbekannten“ – die vielen Fragen, das war das Interessante an diesem Spektakel. Diese Ungewissheit und damit verbundenen neuen Erfahrungen sind die Gründe, warum ich an diesem Abenteuer teilnehmen wollte. Im Gegensatz zu Erwin Thür aus St. Gallen, der zum dritten Mal an der Mont-Blanc-Umrundung dabei war, stehe ich als „Greenhorn“ an der Startlinie. Ich nutzte die Möglichkeit und lies mir von ihm ein paar Tipps auf den Weg geben. Der Startschuss erfolgte am Freitagabend um 18.30 Uhr. Conquest of paradise – die typische Ultra-Hymne von Vangelis wurde auch in Chamonix gespielt. Dann bewegte sich die kilometerlange Schlange bestehend aus über 2’300 Läuferinnen und Läufern aus 51 Ländern, durch die Berge und Täler rund um das gigantische Mont-Blanc-Massiv. Die Prognosen versprachen beste Bedingungen, der Mont Blanc-Gipfel zeigte sich gleich zu Beginn in der schönsten Abendsonne. Das Abenteuer zur „Eroberung des Läuferparadieses“ hätte nicht schöner beginnen können.

Durch drei Länder
Schon bald schalteten die Trailers, so werden die Teilnehmer an derartigen Laufveranstaltungen genannt, ihre Stirnlampen ein. Ein wichtiges Instrument, das enorme Bedeutung erlangt, wenn man mehr oder weniger allein in der stockdunklen Nacht den Weg finden muss. Die Lampen verwandelten sich in kilometerlange Lichterketten, welche sich die Serpentinen hinauf und wieder hinunter bewegten. Auch die Stöcke helfen bei den vielen steilen Aufstiegen enorm, nur wenige Trailers verzichten auf diese Utensilien. An den Verpflegungsposten herrschte tolle Stimmung, Musikkapellen spielten in den grösseren Ortschaften zu Ehren der Läuferinnen und Läufer. Die Grenze zu Italien habe ich in der ersten Nach überschritten und in Courmayeur eine ganz kleine Pause gemacht. Aus meinem Kleiderdepot nahm ich neue Socken und Dress, verpflegte mich an diesem Ort etwas mehr. Aber auf eine effektive Ruhepause, hier hätte ich auf Turnmatten auch schlafen können, verzichtete ich. Denn ich fühlte mich absolut gut und so setzte ich ohne Probleme das Rennen fort. Es ging weiter Richtung Schweiz. Im Walliser Kurort Champex hatte ich 122 Kilometer und rund 7’000 Höhenmeter absolviert. Der Tag war überwältigend schön, ich war beeindruckt von der traumhafte Strecke, den felsigen Passübergängen, den fantastischen Gebirgslandschaften. Auch die Bilder der vielen idyllischen Alpen und kleinen Bergdörfer bleiben mir in bester Erinnerung. Zahlreich standen die kundigen Zuschauer an der Laufstrecke und gratulierten den Trailern zu ihren Leistungen.

Schwierigkeiten in der 2. Nacht
Noch fehlten mir mehr als 40 Kilometer und über 2’500 Höhenmeter bis ins Ziel. Ich fühlte mich aber immer noch ziemlich gut, ich hatte seit dem Start einige Konkurrenten überholen können. Dies vor allem in den flacheren Streckenabschnitten, welche ich im Laufschritt zurücklegen konnte. Respekt hatte ich schon vor diesem letzten Drittel der Aufgabe, drei happige Berge lagen noch vor mir. Ich wollte noch möglichst viel bei Tageslicht laufen, denn in der Nacht ist ein fehlerfreies Laufen wesentlich schwieriger. So verzichtete ich erneut auf eine längere Ruhepause und lief weiter. Bald merkte ich, dass auch bei mir die Kräfte etwas nachliessen. Es wurde immer schwieriger, mich zu konzentrieren. Das Sturzrisiko steigt in dieser Phase ständig, auch ich bin mehrfach gestolpert und einmal auch in einem Bachbett gelandet, aber zum Glück ohne folgen. Aber wirklich gefährlich sind keine Streckenabschnitte. Man läuft auf ordentlichen Wanderwegen meist in der Höhe zwischen 1’500 und 2’500 Meter über Meer, Passagen mit Schnee fehlen völlig. Trotzdem, der Mont-Blanc Ultra Trail ist und bleibt der schwerste Lauf den es nach meinem Wissen gibt. Das spürte ich dann deutlich in der zweiten Nacht. Die Dunkelheit kam unweigerlich und mit ihr stieg meine die Müdigkeit, Möglichkeit zum Schlafen gab es jetzt keine mehr, jedenfalls keine, welche geplant werden konnten. In dieser Phase war ich dann plötzlich ganz alleine, keine Läuferschlangen mehr wie in der ersten Nacht. Wirre Gedanken gingen mir plötzlich durch den Kopf, ich wusste kaum mehr, wo’s lang ging. Da konnte ich mich dann glücklicherweise einem Franzosen „anhängen“, er fand dank seinen High-Tec-Scheinwerfern die Wegmarkierungen viel besser als ich mit meiner kleinen Pfunzel. In dieser Phase war ich an der Grenze der Belastbarkeit von meinem Körper und Geist, wusste kaum mehr wo ich bin. Bei einer Verpflegungsstelle bin ich praktisch stehend eingeschlafen – aber mein „Vorläufer“ Francis entwickelte sich für mich regelrecht zum Helfer in der Not. Ich kann mich nicht mehr al die Details der Strecke erinnern, ich bewegte mich einfach irgendwie hinter Francis her.

Ziel erreicht
Die Orientierung hatte ich schon lange verloren, konnte auch nicht mehr einschätzen, wie lange ich noch zu laufen hatte. Doch plötzlich, im Morgengrauen, wie wunderbar, lag Chamonix vor uns und wir liefen durch den Zielbogen. Fertig war’s! Das wollte oder konnte ich nicht glauben, fühlte mich im „falschen Film“. Ein Ziel ohne Zuschauer – das gibt’s doch nicht, das habe ich noch nie erlebt. Ich bin nicht richtig gelaufen, habe gar aufgeben müssen, sind Beispiele meiner Gedanken in diese Moment. Sie gingen kreuz und quer, waren nicht zu ordnen. Physisch und Psychische völlig auf null stand ich beinahe alleine im Zielraum herum. Ich war (noch) nicht in der Lage zu realisieren, dass ich soeben den grossen Ultra-Trail rund um den Mont Blanc erfolgreich beendet hatte. Zu allem hatte ich auch meinen französischen Begleiter im Zielraum aus den Augen verloren. Auf der nahe Turmuhr sah ich, dass es sieben Uhr war und ich trottete völlig emotionslos in mein Hotel, das nur wenige Meter vom Ziel entfernt war. Dort stand ich noch kurz unter die Dusche und schlief ein. Blasmusikklänge und Lautsprecherdurchsagen weckten mich am Sonntagnachmittag auf. Was war denn jetzt los. Langsam entkam ich meiner geistigen Umnachtung und hörte, dass Läuferinnen und Läufer im Ziel ankamen. Ich verliess das Hotel wieder und sah wieder sehr viele Zuschauer im Zielbereich, ähnlich wie schon beim Start vor zwei Tagen. Und die viele Finisher kamen jetzt in sehr kurzen Abständen ins Ziel. Jetzt hatte ich wieder klaren Kopf und konnte mir die unterschiedlichen Stimmungen im Zielbereich erklären: Morgens um sieben kam ich praktisch alleine weit und breit ins Ziel, die Mehrzahl der Trailers war deutlich hinter mir unterwegs. Ich hatte einen SMS-Dienst in Anspruch genommen und konsultierte mein Handy. Da wurde wir bewusst und ich hatte die Gewissheit, dass ich nicht nur die vollen 166 Kilometer mit allen 25 Kontrollposten einwandfrei passiert habe, sonder den Lauf auch in etwas mehr als 36 Stunden auf dem 276. Rang beendet hatte. Zwischen der ersten Kontrollstelle und dem Ziel habe ich mich um über 600 Positionen verbessert. Ein wunderbares Gefühl und grosse Genugtuung erfüllte mich und ich freute mich zusammen mit den vielen anderen Finishern, welche nun etwa zehn Stunden später als ich dafür mit viel Pomp und Getöse im Ziel empfangen werden.

Zufrieden und glücklich
Ja inzwischen hatte ich wieder klaren Kopf und konnte meine Leistung beurteilen. Die aufgehängte Rangliste im Zielraum und die Angaben des Speakers informierten, dass 1’269 Trailers das Ziel innert der gesetzten Limite von 46 Stunden erreicht hatten, das sind 53 % aller gestarteten. Und ich gehöre dazu – einfach herrlich. Ich habe mein grosses Ziel erreicht. Man hört sie sehr oft, die Aussage „der Weg ist das Ziel“. Doch am Mont Blanc Ultra Trail stimmt das wirklich, auch für mich. Die Laufzeit spielt eine sehr kleine Rolle. Sie alle sind Sieger, welche diesen 166 Km langen Weg rund um das höchste Bergmassiv Europas gelaufen sind. Und was bleibt zurück? Ein paar problemlose Blessuren an meinen Füssen, ein tolles Finishergeschenk in Form einer Jacke und viele unbeschreibliche Erinnerungen an diese schier unmenschliche sportliche Herausforderung. Gibt’s eine Wiederholung? Vielleicht, warum nicht?

Weitere Informationen über den Mont-Blanc-Ultra-Trail sowie andere Berichte und viele Bilder über den einzigartigen Lauf sind zu finden unter Link