Im 85. Kapitel der Comrades-Filmgeschichte spielte Felix Benz eine tolle «Rolle»: Er dokumentierte seine Doppelrolle als Berichterstatter, Fotograf und Läufer, wobei er sich gegen Schluss der 89 Kilometer vom Filmstatisten zum Hauptdarsteller entwickelte und nach 7 Stunden 22 Minuten im Ziel für seine Laufleistung die Silbermedaille umgehängt bekam. Felix belegt bei über 20’000 Finishern den 484. Rang, in seiner Kategorie M50 belegt er den 10. Rang. Nachstehend sein Bericht über diesen denkwürdigen Tag.
von Felix Benz
Liebe Lauffreunde, Bekannte und interessierte Internetuser
Gerne berichte ich euch nachstehend über einen meiner bisher eindrücklichsten Marathonerlebnisse. Es war wie in einem tollen Film, fast wörtlich genommen. Denn der Comrades-Marathon wurde während der vollen Dauer von über 12 Stunden im Fernsehen live übertragen. Und ich durfte wie die übrigen 23’000 Teilnehmer und die hunderttausenden von Zuschauer an der Strecke in Kapitel des 85. Comrades eine Statistenrolle übernehmen. Und beim Einlauf im Zielstadion spielte ich sogar eine Hauptrolle und bekam für meine Leistung die silberne Comrades-Medaille umgehängt. Zusammen mit meinen «Fans» fühlte ich mich wie ein kleiner Filmstar und durfte diesen Erfolg gebührend feiern.
Start um 05.30 Uhr
Früh in der Nacht gings los: Nach einem kleinen Morgenessen um 02.00 fuhren wir mit einem Kleinbus von Durban hinauf an den Start in Pietermaritzburg. Es zeichnete sich schon auf der Autobahnausfahrt durch einen Rückstau an: Da ist etwas aussergewöhnliches im Gange! Im Gegensatz zu den letzten Jahren, wo jeweils «nur» etwa 10’000 Läuferinnen und Läufer am Start waren, waren heute 23’000 dabei. Trotzdem liefen die Startvorbereitungen einigermassen ruhig ab, rund eine halbe Stunde vor dem Start war ich in meinem Startblock B. Ich wartete, eingepackt in wärmenden Altkleidern auf den Countdown. Die letzten 10 Minuten vor dem Start vor dem Rathaus in Pietermaritzburg seien immer das gleiche Ritual, haben mich erfahrenen Comrades-Teilnehmer aufgeklärt: Zuerst wird die «Shosholoza», ein traditionelles Lied, praktisch die Sporthymne, abgespielt. Anschliessend die offizielle Landeshymne Südafrikas. Es folgt «Chariots of Fire» von Vangelis, da bekommen jeweils auch die «alten Hasen» noch Gänsehaut. Dann ein kurzer Moment Stille – der Hahnenschrei – und punkt 05.30 Uhr wird nach einem Kanonenschuss gestartet! Mein Block B überschreitet nach wenigen Sekunden den Startbogen, für die hinteren Blöcke dauert es schon etwas länger, bis sie den ersten der 89 Kilometer in Angriff nehmen können. Auch wenn jeder einen Chip auf Laufschuh trägt und die individuelle Laufzeit jedes Teilnehmer ermittelt werden könnte, es gilt beim Comrades die Bruttozeit. Das ist für die langsameren Läuferinnen und Läufer nicht unbedeutend, denn genau nach 12 Stunden Renndauer, d.h. genau um 17.30 Uhr, ist Torschluss und das bedeutet: Nichts geht mehr!
Der Morgen erwacht
Die erste Stunde des Rennens spielt sich im Dunkeln der Nacht ab. Die Temperaturen sind noch ziemlich kühl, so ca. 8 Grad. Von meinen Altkleidern habe ich darum beim Start noch nicht alles entsorgt, ein T-Shirt bleibt an. Einige Zuschauer stehen schon auf den ersten Kilometern an der Strecke, viele haben wärmende Feuer angezündet. Ich habe die ersten Kilometern sehr langsam angefangen, laufe ziemlich am Ende meines Blockes B. Einige Läufer aus dem Block C überholen mich, ich erkenne Sie an den entsprechenden Startnummern. Denn beim Comrades trägt man diese auch auf dem Rücken. Anhand der Farben gibt die Nummer noch weitere Hinweise auf die laufende Person, so den Vornamen, Einheimisch oder Ausländer oder die Anzahl der Teilnahmen. Die Träger von grünen Nummern sind alle schon 10 Mal und mehr dabei und solche gibt es sehr viele. In diesem Jahr sind zum Start angemeldet:
22’360 aus Südafrika, davon 6’000 Novizen
1’100 Ausländer, davon 700 Neulinge (wie ich)
Gesamt: 18’000 Männer und 5’500 Frauen
Obwohl auf den ersten Kilometern noch keine Durstgefühle aufkommen, ist es für mich wichtig, schon die ersten Verpflegungsstellen zu kontaktieren. Das Wasser und Isogetränke sind in kleinen handlichen Plastikschläuchen abgefüllt, ähnlich einer Wurst. Wie geht man damit um? Ich zupfe ein wenig mit den Zähnen und durch diese Öffnung kann man in kleinen Schlücken trinken, problemlos auch während dem Laufen.
Der Comrades ist nicht flach, das zeigt das Profil und auch an der Streckenbesichtigung habe ich gesehen, dass das Auf und Ab ständige abwechseln. Der erste der «Big Five» wie die fünf markantesten Erhebungen genannt werden, ist nach 8 Kilometern erreicht. Noch ist es Dunkel und noch kaum einer hat dabei Probleme, auch beim abwärts laufen nicht. Nach 19 Kilometern ist der höchste Punkt der Strecke erreicht und am Horizont ist die Sonne aufgetaucht. Ein Hinweisschild informiert über die wichtigen Punkte der Strecke.
Die Zuschauer – einzigartig
Immer zahlreicher werden die Zuschauer entlang der Strecke. Das dank der Sonne, sie sorgt dafür, dass das Quecksilber ansteigt und sich alle wohl fühlen. So kann ich mein Bauwoll-T-Shirt ausziehen. Mit leuchtenden Augen steht eine afrikanische Frau mit Kindern am Wegrand und denen schenke ich das Shirt. Unglaublich, wie sich diese über diese Überraschung freuen konnten. Von diesem Erlebnis musste ich natürlich noch ein Foto machen. Auch von anderen Besonderheiten, so z.B. von den Zuschauern welche ihr Pic-Nic veranstalten oder den Verpflegungsstationen und den Zuschaueransammlungen in den grösseren Orten und auf den Hügel habe ich fotografisch festgehalten. Diese Fotohalte haben sich mehr als gelohnt. Besonders eindrücklich waren auch die Passagen an der Mauer mit den Namenstafeln unzähliger Comrades-Mehrfachteilnehmer und -Sieger sowie beim Heim für behinderte Kinder, wo ich schon bei der Streckenbesichtigung bleibende Eindrücke bekam. Auch Mitglieder meiner Reisegruppe, welche nicht am Rennen teilnehmen, standen an zwei Punkten der Strecke und wünschten mir Glück bis ins Ziel. Zu ihnen gehörte natürlich meine Frau Karin sowie Tochter Rebecca mit ihrer Freundin Sabrina. Auch für sie war der Lauftag mit all seinen vielen Facetten und Besonderheiten ein unvergessliches Erlebnis. Die Zuschauer waren «das Salz in der Suppe», eindeutig. Die Südafrikaner lassen sich vom Comrades dermassen begeistern, wie ich es noch nie erlebt habe. Wer im Umkreis von Durban-Pietermaritzburg wohnt und nicht selber an der Strecke steht, schaut zumindest im Fernseher das Spektakel an. Unzählige Kameras an der Strecke und im Zielstadion bringen den Mega-Anlass und die Volksfeststimmung in die Stuben. Und wenn gegen Ende des Rennens manch einer vom Laufschritt in auf das Marschtempo wechselt, bekommt er tolle Unterstützung. Bei Krampferscheinungen geben sie Zuschauer sogar spontane Beinmassagen. Bei mir war das allerdings nicht nötig.
Vollgas auf der zweiten Streckenhälfte
Je länger das Rennen dauerte, umso wohler fühlte ich mich. So ab Kilometer 40 konnte ich Läufer um Läufer überholen, vor allem in den Steigungen hatte ich, im Gegensatz zu anderen keinerlei Probleme. Beim Comrades ist jeder Kilometer der Laufstrecke markiert. Aber nicht wie bei anderen Läufen, wo beschriftet ist, wie viele Kilometer schon absolviert wurden, steht auf den Tafeln die Distanz , die bis ins Ziel noch zu laufen ist. Eine «Marschtabelle» habe ich mir keine geschrieben. Ich dachte, dass ich für die 89 Kilometer so zwischen acht und neun Stunden brauchen werde. Bei Streckenhälfte merkte ich, dass dieses Ziel trotz vielen Fotostopps erreichen werde. Vielleicht noch etwas schneller. Immer mehr Afrikaner konnte ich überholen, viele hatten beim Abwärtslaufen ihre Probleme, ich überhaupt nicht. Schwarze Läufer überholen, ein ungewohntes Erlebnis für mich. Das zeigt mir, dass auch die Schwarzen nicht automatisch schnell sind und jene, die in Europa an Wettkämpfen teilnehmen, Ausnahmeathleten sind. Diese Erkenntnis beflügelte mich beinahe und ich blieb auf der «Überholspur». Ca. 25 Kilometer vor dem Ziel konsultierte ich erneut meine Uhr. Ich merkte, dass, wenn ich das Tempo hoch halten kann, ich deutlich unter 8 Stunden finishen kann. Und da wurde ich vom Erlebnisläufer zum Wettkampftyp. Ich wollte versuchen, die 7,5 Stunden zu unterbieten, denn dann bekäme ich im Ziel eine besondere Auszeichnung, nämlich die Comrades-Medaille in Silber. Und so gab ich nun richtig «Vollgas». Fotostopps lagen nun kaum mehr drin, oder höchsten nur noch ganz wenige. Aber ich hatte ja schon einige Erinnerung im Kasten und meines Freunde der Reisegruppe hatte ich inzwischen an der Strecke auch gesehen.
Zieleinlauf nach 7:22
Ich steigerte somit mein Tempo, mehrheitlich ging es abwärts. Durban mit seiner Skyline war bereits zu sehen. Immer mehr Südafrikanische Spitzenläufer konnte oder musste ich sehen, wie sie sich mit Muskelkrämpfen herumplagten und so nur noch langsam laufen konnten. Mir hingegen lief es nach wie vor sehr gut, spürte nebst «normaler» Müdigkeit keine muskuläre Probleme, mental war ich in einem «Hoch». 5 Kilometer vor dem Ziel schaute ich nochmals auf die Uhr. Wow, ich machte da auf den letzten Kilometern ziemlich Zeit gut, war da ziemlich genau 7 Stunden unterwegs. Das sollte somit gut reichen und das tat es dann auch. Ich konnte den letzten Kilometer in der City von Durban und dann der Einlauf im Stadion unter dem Beifall von Tausenden von Zuschauern wirklich geniessen. Nach 7:22 Std. stoppte meine Laufzeit. Mit dieser Laufzeit bekomme ich die äusserst begehrte Silbermedaille und das bei meinem ersten Comrades. Viele Comrades-Stammläufer träumen davon, ein Leben lang. In der Rangliste stehe ich damit an der 484. Stelle der über 20`000 Finisher. In der Alterskategorie M50 stehe ich auf Rang 10 und damit in den Top-Ten eines grossen internationalen Marathons. Und das ohne mich überaus stark verausgabt zu haben. Aber vielleicht ist genau dies das Rezept für Erfolge. Sie treten meist dann zu Tage, wenn sie nicht unbedingt erwartet werden. Die gewohnte Dramatik beim Comrades kam auch dieses Jahr wieder nach 11:59 Stunden zum Ausdruck. Das prall gefüllte Stadion zählte die letzten Sekunden, noch waren viele Läuferinnen und Läufer noch unterwegs, teilweise schon auf den letzten Metern im Stadion. Sekundengenau nach 12 Stunden wurde das Zieltor geschlossen. Der Letzte Läufer, nach 11:59 wurde gefeiert wie der Sieger, der Läufer hinter ihm war der erste von vielen, die den Comrades nicht in der geforderten 12 Stunden laufen konnten. Sie bekommen in nächsten Jahr eine neue Chance!
Tagessieger
Die Sieger sind die gleichen wie 2009: Die schnellste Zeit lief Stephen Muzhinga aus Zimbabwe. Er benötigte 5:29 Stunden und war damit sieben Minuten schnellster als der zweite und beste Südafrikaner Ludwick Mamabolo. Bei den Frauen siegte die Russin Elena Nurgalieva eine Sekunde vor ihrer Zwillingsschwester Olesya.
Link
Weiteres über den Comrades-Marathon 2010 auf dessen Homepage auf diesem Link