Ich (Felix Benz) freute mich, zusammen mit über 2’000 Gleichgesinnten am 17. Oktober 13 beim Grand Raid auf der Insel La Réunion starten zu dürfen. Das ist ein Ultratrail von 165 Kilometer Länge und 9’900 Meter Steigungen/Gefälle. Die Einheimischen nennen den Lauf «La Diagonale des Fous – Die Diagonale der Verrückten». Doch das Glück, das es für den Erfolg an diesem schweren Lauf braucht, hat sich in der Schlussphase von mir verabschiedet und das Laufabenteuer ist absolut nicht nach Wunsch zu Ende gegangen. Vor dem letzten Berg, 13 km vom Ziel entfernt, war für mich der Ultra leider fertig. Meine Enttäuschung ist sehr gross!
von Felix Benz
Seit etwa sieben Jahr zieht es mich immer wieder an Ultratrails. So wurde ich auch verschiedentlich auf das Grand Raid auf La Réunion aufmerksam gemacht, denn alljährlich wird die Trauminsel im Indischen Ozean, zwischen Madagaskar und Mauritius liegend und zu Frankreich gehörend, zur Pilgerstätte der Ultratrail-Spezialisten. Im Februar dieses Jahres hatte ich dann das nötige Glück und ich bekam eine Startnummer für die 21. Austragung dieses Top-Shot der Trailszene. Ich gehöre zu den wenigen «Gästen», den der Grossteil der Startplätze ist für die Inselbewohner und die Teilnehmer aus dem Mutterland Frankreich reserviert. Somit konnte ich mit den Vorbereitungen und Planungen für dieses Highlight des Jahres beginnen.
Viel Selbstvertrauen für 165 km und 9’900 HD
Das Grand Raid ist einer der interessantesten und ungewöhnlichsten Ultra-Bergläufe auf diesem Planeten. Die Inselbewohner bezeichnen den Wettkampf als La Diagonale des Fous – die Diagonale der Verrückten. Der Lauf ist praktisch das Markenzeichen der Insel. Zusammen mit über 2’000 hartgesottener Extremisten lasse ich mich auf das grosse Rennen quer durch das Inselparadies ein. Ob es wirklich zu einem paradiesischen Ferienvergnügen wird? Wohl kaum, denn die Laufstrecke misst 165 km und führt über etliche wilde Vulkanberge und beinhaltet nicht weniger als 9’900 Höhenmeter! Für dieses Laufabenteuer steht den Teilnehmern ein (grosszügiges) Zeitlimit von 65 Stunden, inklusive den individuellen Pausen zur Verfügung. Ich bin überzeugt, dass ich es schaffen werde und hoffe, dass ich trotz geplanten kürzeren oder längeren (Schlaf-) Pausen unterwegs nicht in die Nähe der Cut-off Zeiten kommen werde. Denn ich bin sehr gut vorbereitet und habe nun doch schon viel Erfahrungen auf ähnlichen Ultras sammeln können. So habe diesen Frühling den Sierra-Tramuntana Ultratrail auf Mallorca bestanden und im Sommer den Irontrail in den Bündner Bergen über 201 km und 11’000 Höhenmeter in 50 Stunden erfolgreich gelaufen. Da sollte doch auch das Grand Raid-Abenteuer mit einer positiven Bilanz und vielen schönen Erlebnissen in Erinnerung bleiben. Allerdings in einer feucht-tropischer Landschaft, wie es in La Reunion sein wird, bin ich bisher noch nie gelaufen. Aber das ist ja das Spannende für mich.
Berichte
Ich freue mich dass ich euch dank Gratis-Wifi in meinem Hotel auf diesem Weg über meine Erlebnisse ins Zusammenhang dieses Laufabenteuers berichten darf. Ich hoffe, es gelingt mir, euch möglichst schnell mit interessanten Infos und natürlich tollen Bilder vor und nach dem Lauf zu bedienen. Vorstehend habe ich euch allgemeine Infos zum Grand Raid gegeben. Nachstehend folgt ein Kurzbericht über die Anreise und die ersten beiden Tage auf La Réunion
– Samstag, 12. Oktober, Abends, Abflug in Zürich via Paris nach St. Denis, die Hauptstadt auf La Réunion: Alles planmässig verlaufen.
– Sonntag, 13. Oktober, Ankunft am Mittag auf La Réunion nach 12 Stunden in zwei Flugzeugen. Alle Teilnehmer des Grand Raid, welche in diesen Tagen per Flugzeug anreisen, werden am Flughafen sehr freundlich empfangen. Ich werde begrüsst in einem Willkomm-Apéro durch den Präsidenten des Organisationskommitees. Anschliessend konnte ich mein Hotelzimmer beziehen und mich vom Flugstress etwas erholen (schlafen) und dann die Hauptstadt St. Denis im Umkreis des Hotels etwas erkunden. Am Abend holten mich Julia und Christian Fatton, zwei liebe und seit langem sehr gute bekannte Lauffreunde aus der Westschweiz mit ihrem Mietwagen ab. Die beiden zählen auch zur Gruppe der «Verrückten» und wir gingen zusammen Nachtessen und besprachen, was wir Sinnvolles bis zum grossen Laufspektakel auf der Insel gemeinsam tun könnten.
Anklimatisieren und Kennenlernen der Insel
La Réunion ist eine Vulkaninsel und der lavaspeiende Berg Piton de Fournaise an der südlichsten Spitze der Insel mit 2’600 Meter Höhe ist noch regelmässig alle zwei bis drei Jahre aktiv. Da dieser eindrückliche Vulkan nicht direkt an der Laufstrecke des Grand Raid liegt, haben wir diese eindrückliche Kraterlandschaft am Montag besichtigt. Das bedeute eine Wanderung von vier Stunden vom Parkplatz auf dem Pass de Ballcombe bis zum grössten Kraterrand. Erstmals im Leben war ich auf «frischem» Lavagestein gestanden (Ausbruch im Jahre 2010). Ich fühlte mch dort neben dem Haupt- und den einzelnen Nebenkratern wie auf dem Mond. Dieser Wandertag hat mir vor Augen geführt, was für Wetter am Lauf vermutlich sein wird: Ziemlich warm, in den Bergen keine Wolken. Es wird durstig! Die hohe Luftfeuchtigkeit ist nur am Meer spürbar, in den oberen «Etagen» war sie wahrscheinlich wegen dem ständigen leichten Wind kein Problem. Aber Sonnencrème ist in grosseren Mengen nötig, denn die Gefahr eines Sonnenbrands wurde mir heute offensichtlich!
Am Dienstag gings weiter mit den Insel- bzw. Streckenerkundigungen. Im Gegensatz zu gestern, war unsere heutige Wanderung eine relativ kleine. Auf einem erweiterten Rundweg mit dem Aussichtspunkt Cap Noir, der viele Touristen begangen wird, kamen wir in den Genuss von herrlichen Trails, sofern sie trocken sind. Sie waren es, denn schon seit längerer Zeit fiel in diesem Gebiet kein Regen mehr, was etwas aussergewöhnlich ist. Wir hoffen nun, dass dies auch noch bis Ende dieser Woche, d.h. incl. des Grand Raid-Zeitraumes so bleiben wird. Denn trockene Trails sind natürlich viel einfacher zu laufen als tief morastige Trails. Trails wie wir heute am Hang des nordwestlichen Ausläufers des Mafate-Gebirges gelaufen sind, werden den Grossteil der Strecke des Grand Raid beinhalten. Das Mafate-Gebiet ist eine besondere Kessellandschaft, d.h. umrahmt von einem steilen Bergkranz. Es führt keine Autostrasse in dieses Gebiet. Es sollen dort Leute wohnen, die das Meer in ihrem Leben noch nie gesehen haben. Die Wettkampfstrecke wird in diesen Kessel führen. Die Trails schlängeln sich in den zentralen Inselgebirgen wie in einem Dschungel durch die mannshohen Farne und andere Sträucher. In Bezug auf die Tierwelt ist aber auf La Réunion nichts zu sehen oder zu finden. Einzig ab und zu einige Vögel sah ich bisher. Ansonsten konnten sich auf der relativ jungen Vulkaninsel (noch) keine grösseren Tiere ansiedeln. Schade oder zum Glück?! Nach rund zwei Stunden Laufzeit waren wir wieder am Ausgangpunkt der Wanderung. Ich habe mich damit an die Verhältnisse, die an den drei Lauftagen wohl herrschen werden, bestens gewöhnen können.
Am Mittwochmorgen wurden keine Laufschuhe angezogen, wir taten das, was Touristen so machen auf der Insel und besuchten Sehenswürdigkeiten. Zuerst machten wir etwas zur Wissenserweiterung im Bereich Lebensmittelkunde. Dank einer einstündigen Führung durch die Vanilleraie ganz in der Nähe von St. Denis weiss ich nun, wo die besten Vanillestangen der Welt herkommen und wie viel Handarbeit es braucht, bis dieser feine Aromastoff verkaufsfertig abgepackt ist. Das zweite Ziel des Vormittags war ein Naturschauspiel, die Cascade Niagara, ebenfalls unweit der Küste im Norden der Insel. Aber die Hauptdarstellerin in dieser Arena, dass Wasser, war nicht zu sehen. Weil es schon längere Zeit nicht mehr geregnet hat, ist kein einziger Tropfen über die Felsen in den darunter liegenden See gefallen. Dafür konnten ein paar Wagemutige in den Felsen umso leichter in die Höhe klettern.
Startnummerausgabe beim Grand Raid und was dazu gehört
Am Mittwochnachmittag war Termin für die Abholung der Startunterlagen im Stadion de la Redoute von St. Denise. Dieser Vorgang war wie üblich, schnell bekam ich nach Kontrolle meiner Identität die Startnummer mit eingeschweisstem Chip und drei Kleidersäcke überreicht. Zusätzlich zwei T-Shirts, denn auf denn beim Start und auf den letzten Kilometern bis ins Ziel muss dieses » Werbetrikot» gemäss Wettkampfreglement getragen werden. Was macht man da nicht alles für die Sponsoren. Aber es ist eben so: Ohne finanzielle Unterstützung von Dritten wären derartige Grossanlässe in keinem Land mehr auf einem hohen Level durchzuführen oder die Startgelder wären so hoch, dass sie niemand mehr bezahlen würde (PS. Ich bezahlte für den Grand Raid 150 Euro). Das wärs eigentlich gewesen, doch weshalb gibt es da im Stadionrund eine über hundert Meter lange, stehende Kolonne, habe ich mich gefragtg. Ich nahm mich diesem «Stauproblem» an und sah bald, dass es sich dabei um Teilnehmer aller drei Laufdistanzen handelt, die am Ende der Kolonne bei über 20 kleineren Ständen und Anbietern vorbeikommen und dort verschiedenste kleinere und grössere Werbegeschenke überreicht bekamen. Wie es sich zu einer Läuferexpo gehört, konnte auch noch allerlei Nützliches oder Notwendiges gekauft werden. Alles unter freiem Himmel, praller Sonne und rund 30 Grad. Da fanden die verteilten Dächlikappen mit Nackentuch gute Verwendung! Der Grand Raid ist der grösste Sportanlass auf La Réunion und bekommt das entsprechende Medienecho. So gibt’s seit ich hier bin täglich Beiträge auf dem Insel-TV über die Laufveranstaltung und auch auf den Frontseiten der Tageszeitungen ist der Grand Raid das Thema. So lese ich die neusten Teilnehmerzahlen: 2’210 laufen wie ich den Grand Raid, 1’504 starten zum Trail de Bourbon (95 km) und 1’548 sind für den «Einsteigerlauf», den Mascareignes (70 km) angemeldet. Gesamthaft sind somit über 5’000 Leute am Start. Auf den Plakaten steht, dass der Grand Raid bzw. die Diagonale des Fous eine Länge von 170 km und 9’500 +Meter aufweist. Das sind 5 km mehr aber 400 Steigungsmeter weniger als in den bisherigen Infos geschrieben ist. Was nun stimmt, spielt eigentlich keine grosse Rolle (mehr), das weiss wahrscheinlich keiner so genau!
Schweizer Konsulat gibt sich die Ehre
Dass mich die Schweizerische Eidgenossenschaft zu einem Empfang an einem Laufanlass eingeladen hat, war für mich neu. Wenige Tage vor meinem Abflug nach La Réunion bekam ich und die anderen rund 20 Schweizer Laufteilnehmer ein Mail vom Schweizer Konsulat auf La Réunion. Die Konsulin Josette Binggeli lud uns zu einem Apéro ein, welches am Mittwochnachmittag im Rahmen der Startnummerausgabe im Stadion stattfinden werde. Eine Schweizerfahne sollte uns anzeigen, wo wir einen Drink bekommen werden. Und dieses Versprechen wurde gehalten. Im Stadionrund hatte die Vertreterin des EDA ein keines Tischchen und einen Sonnenschirm mit angehängten Schweizer Fahnen aufgestellt und erwartete ihre Landsleute auf sehr sympathische Art. Sie wünschte uns für unser Vorhaben viel Glück und Erfolg. Eine Wertschätzung, für die ich mich auch auf diesem Weg nochmals herzlich bedanke.
Jetzt geht’s los
Am heutigen Tag beginnt das Laufabenteuer, endlich möchte ich sagen. Die Kleeiderbeutel für die beiden Depots sind bereit und auch der Laufrucksack mit allem Wichtigen und Vorgeschrieben Material ist gepackt. Das Wetter: Heute leicht bedeckt, ca. 25 Grad. Für die weiteren Tage ist ebenfalls warmes Wetter angesagt. Ich denke, den Regenschutz kann ich zuunterst im Rucksack deponieren. Zum Mittag genehmigte ich mir noch eine gute Portion Pasta, jetzt lege ich mich noch für drei Stunden aufs Bett und dann geht’s zum Busparkplatz. Dieser bringt uns die Läufer, die keinen privaten Chauffeur haben, zum Start nach Saint Pierre im Süden der Insel. Dort geht’s um 23.00 Uhr dann los.
Gerne berichte ich nach meiner Rückkehr ins Hotel über mein Befinden und meine Erlebnisse auf der Diagonale der Verrückten. Ich hoffe, dass wird am Sonntagmorgen der Fall sein. Wer schon vorher etwas erfahren will, hat (so glaube ich) die Möglichkeit, auf der Homepage des Veranstalters (Link ist unten) Resultate abzurufen. Meine Startnummer ist Nr. 684. Haltet mir die Daumen! Vielen Dank und bis bald.
DNF – Die Enttäuschung ist riesig
Nach 150 km und 43 Stunden Renndauer relativ knapp vor dem Ziel war für mich Schluss. Bin als erstes einmal sehr enttäuscht, dass ich nicht zu den glücklichen Finishern gehöre. Der Grund wie es zu diesem «Did not finish» kam, vorerst kurz und bündig zusammengefasst: Aufgrund meiner Müdigkeit habe ich mich verlaufen und als ich wieder richtig lag, meinte ein Kontrollposten (Sanitäter), ich solle aufhören. Ich habe das akzeptiert und das war’s! Im Nachhinein ist man immer klüger, denn ich hätte vielleicht besser eine grössere Pause gemacht, denn Zeit dafür hätte ich genug gehabt. Aber es gab kein zurück auf die Laufstrecke mehr! Wie es zu diesem Ende gekommen ist, schreibe ich euch etwas später. Jetzt, kurz nach diesem Fiasko muss ich zuerst meine Emotionen in den Griff kriegen und versuchen, «herunter zu fahren». Dann kann ich hoffentlich auch über das viele Schöne und Unvergessliche, das ich im Rennen erleben durfte, berichten. Also später mehr.
Start auf Meereshöhe
Mit dem Bus fuhr ich zusammen mit Julia und Chris Fatton und vielen anderen an den Startort St. Pierre im Süden der Insel. Nach Ankunft deponierten wir die Kleidersäcke bei den drei Lastwagen. Jeder hatte die Möglichkeit, Ersatzwäsche oder Schuhe, persönliche Verpflegung und anderes, das er nicht in seinem Laufrucksack mittragen wollte, bei den Verpflegungsposten nach 65 und 130 km zu deponieren sowie einer ins Ziel bringen zu lassen. Dann wurde bei jedem einzelnen die Pflichtausrüstung (Getränke, Notdecke, Verband, Signalpfeife, Windjacke, Lampe u.a.) kontrolliert. Dann warteten wir auf den Start und hatten dabei die Möglichkeit, uns zu verpflegen. Pünktlich um 23.99 Uhr fiel der Startschuss und die 2’200 Läuferinnen und Läufer machten Sie auf die 165 km lange «Reise». Unheimlich viele Zuschauer standen hier am Weg Spalier, die Szenerie erinnerte mich an den Start zum Hunderter von Biel. Generell ist zu sagen, dass die Begleiter praktisch ausnahmslos mit Autos unterwegs waren und somit in den Dörfern für mentale Unterstützung sorgten.
Sehr schwere, anspruchsvolle Strecke
Ich mag mich nicht erinnern, wo ich jemals bei einem Wettkampf dermassen viele technisch sehr schwierigen Abschnitte zu laufen hatte. Nebst wenigen Ausnahmen musste voll konzentriert gelaufen werden. Jeder Schritt musste überlegt genommen werden. Noch so schnell ist man gestolpert. Auch ich hatte mehrmals ungewollten Bodenkontakt, aber die Stürze waren ohne Folgen. Es ging praktisch immer auf oder abwärts, zum Teil sehr steil, nebst den Beinen waren auch öfters die Arme voll im Klettereinsatz. Trailstöcke sind auf Réunion verboten (natürlich nur im Wettkampf). Das war für mich stockerprobter Ultra eher ein Nachteil. Aber dieses Verbot hat seine Berechtigung, denn die Stöcke wären aufgrund der sehr vielen engen und steilen Passagen eine Gefahr für sich und die anderen Mitläufer. Zu Beginn des Rennens wurde viel durch Zuckerrohrplantagen gelaufen, ich kam mir vor wie in einem Tunnel. Auch in den mittleren Höhen hielt der Tunnelblick an, wenn die Wege durch dschungelähnliche Vegetation führten. Zum Glück waren die exponierten Streckabschnitte, zum Teil waren Sicherungsseile angebracht, relativ trocken. Ich kann mir kaum vorstellen, dass diese Streckenteile nach einem Regen begangen werden können. Aber der Regen ist zu dieser Jahreszeit eher selten.
Herrliche Landschaften, gute Verpflegung
Die Laufstrecke war nicht nur technisch sehr schwer, sondern auch sehr attraktiv. An verschiedenen Stellen bot sich eine fantastische Sicht in die Täler und auf die kleinen Bergdörfer. Diese Möglichkeiten haben Nichtläufer nur wenn sie mit dem Helikopter unterwegs sind. So können einzelne Verpflegungsstellen des Grand Raid nur mit dem Heli bedient werden. Diese Versorgungspunkte waren in genügender Anzahl vorhanden und super bestückt. Selbstverständlich muss jeder selber noch zusätzliche Getränke bei sich haben, vor allem bei den Tageszeiten, wo grosse Hitze herrschte und es jeweils schon gut und gerne drei Stunden dauerte, bis der nächste Verpflegungsposten erreicht war. Auch die Sonnencrème war ein Muss, ansonsten sich die Haut schnell errötete. An den zwei grossen Verpflegungsstellen, an denen wir auch unsere Kleidersäcke überreicht bekamen, bestand die Möglichkeit zum Duschen und Schlafen. Auch ich machte zwei Mal eine kleinere Schlafpause und fühlte mich danach jeweils ziemlich erholt. Ich konnte zwar in den steilen Aufstiegen nicht ganz mit den Leuten, die in der Nähe von mir lagen, mithalten und verlor jeweils einige Positionen. Doch sobald es wieder abwärts ging war ich wieder dabei und konnte Leute überholen, obwohl ich bei den neuralgischen Stellen und den schönsten Aussichtspunkten mir immer noch die Zeit für Fotoaufnahmen genommen habe.
Das Aus
Nach 111 km folgte der längste Abstieg des ganzen Laufes. Auf 13 km gings von über 2’000 Meter hinunter auf 350 Meter über Meer. Ich gab da richtig Vollgas, überholte einer nach dem andern. Womöglich habe ich in dieser Phase etwas zu wenig getrunken, denn ich hatte in den folgenden Kilometern in der Nähe des Meeres sehr grossen Durst. Es war in dieser Mittagzeit sehr heiss, trotzdem leistete ich mir in dieser Phase keine Pause. Ich rechnete für mich schon eine ungefähre Endzeit aus, es fehlten ja nur noch etwa 20 Kilometer. In der Folge verliess mich für einmal das Wettkampfglück und es kam dann zu einem ersten grossen Malheur. Ich kam von der grundsätzlich sehr gut markierten Strecke ab. Wahrscheinlich war ich im Kopf schon nicht mehr ganz bei der Sache, denn ich merkte erst spät, dass ich mich nicht mehr auf der korrekten Strecke befand. Allerdings war ich nicht ganz alleine, aber das half mir auch nicht weiter sondern machte das Problem nur noch grösser. Und dann wurde es plötzlich, d.h. innert wenigen Minuten, dunkel und ich lief immer noch falsch. Es dauerste schätzungsweise zwei Stunden, bis ich wieder ungefähre wusste in welche Richtung es ging. Ich war dann sicher wieder auf dem Kurs. Aber ich war der Ansicht, dass ich bei meinem Irrlauf einen Kontrollposten nicht passiert hatte und so wollte ich diesen Fauxpas ausbügeln. So lief ich gegen die Laufrichtung bzw. in die Richtung, wo die Läufer herkamen. Das war ein Frust. Es war mir in dieser Phase nicht möglich, Überlegungen zu machen und diese richtig einzuordnen. Was ich konnte, das war laufen und so tat ich das in der Hoffnung, dass alles gut kommt. Doch dieser Wunsch erfüllte sich nicht! Ich hätte mich zur Erhellung meiner «geistigen Umnachtung» wohl einfach einmal hinsetzen und der Kopf zur Ruhe kommen lassen sollen. Noch bevor ich den anvisierten letzten Kontrollposten erreichen konnte, kam ich an einem Sanitätsposten vorbei. Natürlich fiel ich (wie ein Falschfahrer auf der Autobahn) auch diesen Leuten auf und sie riefen mich zu sich. Anders als bei den meisten Kontrollposten war hier ein Deutsch sprechender Mann präsent. So musste ich mich nicht mehr wie gewohnt anstrengen, um mit meinen Französischkenntnissen über die Runden zu kommen. Erstmals beruhigend für mich. Aber das stellte sich als Trugschluss dar, denn an diesem Posten endet das Rennen für mich dann vorzeitig. Der Mann betrachtete meine Verfassung als ungenügend, um weiter zu laufen. Worin war dies begründet? Es ist so, dass ich aufgrund meiner Strecken- und Ortskenntnisse sowie der eingebrochenen Dunkelheit nicht genau wusste, wo ich zu jenem Zeitpunkt gerade war. Er erzählte mir (drei Mal), dass es im letzten Jahr am Grand Raid einen Todesfall gab und es die Aufgabe der Sanität sei, keine Leute auf die Strecke zu lassen, die den Anforderungen nicht genügen. Ich habe diese Aussage zur Kenntnis genommen. Diese Meinung zu Widerlegen, nach Alternativen zu suchen oder eine Zweitmeinung eines anderen Kontrolleurs einzuholen, dafür fehlten mir zu jenem Zeitpunkt eindeutig die Kraft und der Willen. Der Mann bot mir an, wenn ich jetzt aufhöre, dafür zu sorgen, dass ich mit einem Auto in mein Hotel in St. Denise gefahren werde. Mein Ziel der ganzen Reise nach La Réunion, beim Grand Raid zu finishen, war wie vergessen und so willigte ich ein. Und schon kam jemand mit der Schere und die berühmte Ecke an der Startnummer war abgetrennt und ich damit endgültig aus dem Rennen. Nach 43 Stunden, 13 km vor dem Ziel! Ich habe aufgehört, weil ich leer im Kopf war und ich meine Gedanken nicht mehr ausreichend kontrollieren konnte! Das wurde mir aber erst richtig bewusst, als ich am Sonntagmorgen, nach ein paar Stunden Schlaf im Hotel erwachte. Es war kein böser Alptraum, sondern Realität. Es war morgens um acht, ich hätte also dann noch 8 Stunden Zeit für die restlichen 13 km zur Verfügung gehabt! Wäre keine Wahnsinnsleistung, aber doch keine Option mehr. Denn das Out kann nicht rückgängig gemacht werden. Ich realisierte jetzt erst richtig, was geschehen war! Die Enttäuschung war riesengross.
Was wäre wenn….?
Ich traf mich dann am Nachmittag mit Juli und Christian und ich erzählte von meinem Out. Die beiden haben erfolgreich gefinisht. Wieso ich bei der Sanität nicht eine lange Pause gemacht hätte, haben mich die beiden und andere Finisher gefragt. Denn meine Zeitreserven auf die maximale Laufzeit betrugen dort ja rund 20 Stunden. Ich habe mir diese Frage selbst im Nachhinein auch gestellt. Nach einer längeren Pasuse wäre ich doch wieder erholt gewesen und hätte sicher und ohne Risiko ins Ziel laufen können. Was wäre wenn…..? Ja diese Fragen bringe auch ich zurzeit noch nicht aus meinem Kopf. Aber als ich übermüdet auf dem Stuhl der Sanität sass, war ich nicht imstande, dem Verlangen des Sanitäters zu entgegnen und die Option mit der langen Pause darzulegen und damit im Rennen zu bleiben. Leider. Dort hätte ich eine Unterstützung benötigt, die weiss, was es bedeutet, kurz vor Ende eines Ultras noch auszuscheiden. Bin ich dort an den Falschen geraten? Vielleicht. Aber es ist müssig, dies jetzt zu beurteilen. Die Sanität tut ihren Job und das ist gut und ich bin dankbar, dass die es gibt. Aber trotzdem schreib ich mal folgendes: Es gibt womöglich auch Sanitäter, die vielleicht anders entschieden hätten oder mich zu einer Ruhepause gezwungen hätten und erst dann über die Möglichkeit des Weiterlaufens entschieden hätten. So hatte zum Beispiel Julia unterwegs grosse Knieprobleme und wollte aufgeben. Aber der dortige Sanitäter motivierte sie zum Weitermachen in dem er sagte, Aufgeben bringe überhaupt nichts und tapte ihr Knie. Und es ging weiter!
Das Positive suchen und finden
Dieses «Abandon» (Französisch, auf Deutsch Verzicht), wie die Veranstalter das DNF in der Laufauswertung nennen, hat sicher auch sein Gutes für mich. Nur in der ersten Enttäuschung ist dieses nicht sofort ersichtlich. Wenn ich die Glücklichen in ihren gelben Finishershirts in der Stadt sehe, kommen mir sofort Emotionen hoch. Aber anderseits darf ich sagen, dass ich doch 150 km in 43 Stunden gelaufen bin und bei meinem Ausscheiden ziemlich gut positioniert war. Auch das ist doch eine gute Leistung. Zudem spüre ich kaum körperliche Auswirkungen, im Gegensatz zu vielen Finishern, bei denen fast jeder Schritt schmerzt. Dass es bei meinen zahlreichen Marathonläufen einmal zu einem Ausfall kommen wird, ist selbstverständlich und nicht weiter beunruhigend. So haben nur 1’365 Leute oder 65 % der gestarteten Teilnehmer das Ziel erreicht. Ich bin also keineswegs der einzige, der ohne Finishermedaille nach Hause geht. Und zudem lebe ich nicht vom Laufen, sondern mit dem Laufen. Natürlich ist und bleibt für mich der Laufsport wichtig, aber die Gesundheit ist wichtiger und geht vor. Denn nur wenn ich Gesund bin, kann ich wie bisher dieses wunderbare Freizeit- und Ferienvergnügen mit einem Lachen betreiben. Natürlich werde ich versuchen, die Ursache meiner Schwäche und damit meines Ausscheidens zu finden. Ich bin überzeugt, das gelingt mir und beim nächsten Ultra gehöre auch ich wieder zu den glücklichen Finishern. Ob das womöglich wieder einmal auf La Réunion beim Grand Raid der Fall ist? Wieso nicht!
Ich danke an dieser Stelle allen, die mich in der Phase der ersten grossen Enttäuschung moralisch geholfen haben. Half zwar nicht sofort aus dem Tief zu kommen, aber gut tat es schon!
Zurück in die Heimat
Noch zwei Ferientage kann ich das warme Wetter auf La Réunion geniessen und dann ist Schluss. Die Temperaturen und einige Sandstrände laden gar zum Bade ein. Aber ich werde wohl verzichten und mich auf die Besichtigung von ein paar wenigen Sehenswürdigkeiten in der näheren Umgebung beschränken. Am Mittwoch, 23. Oktober nachmittags, gehts wieder auf den Flughafen. Auch der Rückflug geht wieder via Paris nach Zürich. Am Donnerstag, 24. Oktober, mittags, werde ich wieder zu Hause sein.
Zur Homepage des Grand Raid La Réunion geht’s auf diesem direkten Link
Streckenprofil
Kontroll- und Verpflegungsposten
Zwischenzeiten / Auswertung Felix Benz
Zeitungsbericht 24.10.































































